2010 oder so. Der Bahnhof ist heiß und stickig und als dann endlich der RE5 ankommt, ist er voll mit Berufsschülern die gerade Feierabend machen.
Ich finde einen Sitzplatz, und neben mich setzt sich ein Schüler, und ich bin froh, unbehelligt lesen zu können. Dann ruft ihn aber ein Freund zu sich rüber, der Platz wird frei, und wird - gottverdammt - direkt von Uwe eingenommen.
Uwe ist mein Arbeits- und Pendelkollege, etwas langsam im Kopf, und füllt jeden Satz mit vielen überflüssigen und teils widersprüchlichen Wörtern auf. “Dieser unserer Zug ist aber heute mal wirklich wieder sehr voll mit Menschen” sagt er zu mir, aber heute habe ich wenig Geduld und sage nur ich würde gern lesen. “Na gut alles ist klar dann können wir uns ja dann gleich im Auto weiterunterhalten da kannst du ja auch gar nicht wirklich lesen das hast du ja schonmal versucht da wird dir ja auch immer etwas schlecht”…
Dann kommen wir in Remagen an, steigen aus, treffen Manu die uns fährt, gehen noch fix ein Brötchen bei Bäcker Müller und für jeden ein Wegbier holen und quetschen uns dann für die Fahrt in die Eifel in Manuelas winzigen Fiat Punto - der natürlich keine Klimaanlage hat.
Zu der Zeit wohnte ich auf dem Land, das erste Mal raus aus Köln, bei meiner Freundin, die wiederum in der Einliegerwohnung im Hause des Noch-Ehemannes wohnte und die mich - da war ich mir recht sicher - nur bei sich wohnen ließ, um ihn zu foltern. Unsere Beziehung war recht lieblos, nur ein Mittelfinger für den Ehemann.
Aber das nahm ich gern in Kauf, dafür, dass die Bude nur 200 € kostete und einen Balkon mit einem idyllischen Talblick bat. Nur das Pendeln nervte, morgens um vier raus, um um sechs die Frühschicht anzufangen, als Kommissionierer bei einem Versandhandel.
Da stand ich dann, am selben Band wie der langsame Uwe und die zweifache Mutter ohne Ausbildung, wie Migranten ohne Sprachkenntnisse oder anerkannte Abschlüsse, Mini- und Ein-Euro-Jobber, das geringverdienende Präkariat.
Aber während uns der kleine Fiat ächzend die Serpentinen hochschleppt, Uwe schlafend und Manu und ich schweigend unsere Feierabendbiere genießend, ist das alles vergessen. Die Straße schlängelt sich Steil den Berg rauf, die Sommersonne fällt durch das dichte Dach der Laubbäume, und ich verfalle kurz in Tagträume, wie Manu kurz am Wegesrand anhält und wir unsere Partner miteinander betrügen. Dann erzählt sie irgendwas von einem Geburtstagsgeschenk für eines ihrer Kinder und ich fühle mich so schuldig als wäre wirklich was passiert. Dann sind wir da, sie setzt mich ab, bis morgen sagt sie, und fährt mit Uwe noch ein paar Dörflein weiter, nach Oberirgendwasdorf, wo man einen Dialekt spricht, den schon in Niederirgendwasdorf niemand mehr versteht.
Dann sitze ich auf dem Balkon, schaue ins Tal runter, es ist gerade vier, in zwölf Stunden geht es schon wieder los, pendeln, Lebenszeit gegen Mindestlohn tauschen, und dann wieder pendeln…
Unterschicht Blog
Ein Blog über das Leben im armen Deutschland.
Dienstag, 13. Mai 2025
Pendeln
Donnerstag, 1. Mai 2025
Bildungsfern: zweite Edition des Taschenbuches ist nun auf Amazon verfügbar
nur ein kurzes Update, die zweite und vorerst letzte Version meines Buches, mit einem Haufen Korrekturen und ein paar mehr Seiten, ist nun erhältlich.
Wer bisher unentschlossen war, oder von der "Unfertigkeit" der ersten Version abgeschreckt war, kann jetzt die korrigierte Version auf Amazon kaufen.
Haut rein und man liest sich,
St.
Donnerstag, 26. Dezember 2024
Weihnachten im Plattenbau
“Sinn und Sinnlichkeit müssen draußen bleiben”, steht auf der Fußmatte der Wohnung meiner Eltern im Kölner Plattenbau. Nicht wirklich, aber so fühlt es sich an, als ich zu Weihnachten mal wieder die lange Fahrt auf mich nehme und die Wohnung betrete.
Mein Mantra, “halt dich da raus!”, ist fast sofort vergessen. Neben meinem Vater auf dem Sofa sitzt ein älterer Typ, den ich zuerst für einen Freund meines Vaters halte. Schmierige Haar-Reste, in gegelten oder verschwitzten dünnen Strähnen über seine Glatze gekämmt, fett und mit einem rattenartigen Gesicht. In der Essecke sitzt Jeremy-Kyle mit Kopfhörern und zockt Minecraft auf seinem iPad.
Ob ich über die A1 oder die A3 gefahren sei, will mein Vater wissen, und egal wie ich antworte, ich werde Spott für die Antwort ernten. Dann kommt meine Schwester aus der Küche, zwei Bier in der Hand, eins für Vater, eins für Schmierlappen. Statt einem Danke haut er ihr auf den Arsch und sie boxt seine Schulter. Ich gucke mich nach meinem Schwager um und plötzlich schwant mir Böses. Halt dich da raus, sag ich mir, und dann frage ich wo mein Schwager ist.
Schwesterchen hat ihn wohl verlassen, nachdem Herbert, so heißt der Schmierlappen, sie auf Facebook kontaktiert und ihr das Blaue vom Himmel versprochen hatte. Der war wohl in Frührente, nachdem er viele Jahre bei MAN LKWs gebaut hatte, ein Fakt der alleine reichte um meinen Vater völlig um den Finger zu wickeln, und genieße nun die Art von üppigem Leben, die meine hochverschuldete Schwester sich nur träumen lassen könne. Selbst ein eigenes Haus hat er.
Dann setze ich mich zu Jeremy-Maddox und frag ihn nach seinem Lego Hogwarts und er sagt mir, dass Herbert ihm “Lego-Verbot” erteilt habe. “Du sollst mich doch Papa nennen” ruft Herbert böse vom Sofa aus und selbst meine sonst teilnahmslose Mutter guckt ihn böse aus. Halt dich da raus…
Während Schmierlappen und Vater über die gute alte Zeit sinnieren, in der LKWs noch richtig gebaut wurden, bauen Mutter und ich das Raclette auf. Irgendwann sitzen wir alle am Tisch und essen, Mutter bringt mir noch einen Kaffee, in den ich Hafermilch schütte. Ob ich jetzt Veganer sei, fragt Vater verächtlich, während ich mir eine Pfanne voll Käse und Hackfleisch reinziehe, und Herbert grölt als er habe er noch nie einen besseren Witz gehört.
Später sind meine Schwester und ich in unserem alten Kinderzimmer, sie raucht am Fenster, wie sie es in der Jugend immer tat und ich stell mich zu ihr. Halt dich da raus, bete ich mir vor, und dann frage ich sie nach Herbert. Brandon-Kyles Vater war doch immer gut zu euch, sag ich. Ja, aber mit seinem Gehalt werde ich die Schulden nie los, sagt meine Schwester unverblümt.
“Du meinst DEINE Schulden?!” Sage ich etwas zu anklagend. Sie schnippt die Kippe aus dem Fenster, guckt mich böse an und geht.
Dann sitzen wir auf dem Sofa, zischen ein Bierchen, und für einen Moment verliere ich mich in Gedanken. Mutter bietet Kyle-Jason ein Eis an, der fragt nach Schoko und Walnuss. “Nur ein Löffel!”, schreit der Schmierlappen böse vom Sofa. Stefan, halt dich einfach raus, denke ich mir. Du machst es nur schlimmer. Ich stehe auf, gucke ihn an und sage: “So, wir unterhalten uns jetzt mal im Hausflur”, aber der Feigling bleibt sitzen und bringt nur einen dummen Spruch.
Bleibt locker, Jungs, sagt meine Schwester und lacht. Meine Wut wird zur Trauer als mir klar wird, dass ich das alles schonmal erlebt habe. Wie oft hätten meine Schwester und ich uns gewünscht, dass sich unsere Mutter zwischen uns und einen herrischen Kleingeist, einen schwachen Tyrannen stellt. Und jetzt holt sie sich eine Kopie meines Vaters in Haus...
Ich geb dir mal meine Nummer, sage ich zu Kyle-Jeremy, während ich Herbert in seine geistlosen Augen gucke. Und wenn der Schmierlappen dir mal doof kommt, dann rufst du mich an, und dann kümmern dein Papa und ich uns darum.
Dann sage ich tschüss zu meiner Mama, nehme mir noch ein Wegbier, und während ich die Treppen zu meiner Karre runterstiefel, freue ich mich auf 364 Tage Ruhe.
Montag, 23. Dezember 2024
Sorry für die Werbung
Moin Leute,
ich dachte ich hätte hier längst keine Werbung mehr geschaltet, jetzt hab ich die Seite mal auf einem Gerät ohne Adblocker geöffnet und das ist ja übertrieben scheiße.
Sorry dafür, Werbung sollte jetzt kein Thema mehr sein.
Hab außerdem zwei neue Posts für euch, bis die Tage. :)
Freitag, 15. November 2024
Warum ich kaum noch schreibe
Hi liebe Leser,
teilweise erreichen mich E-Mails wieso es so still geworden ist um den Blog und ich möchte das kurz erklären. Die Mails werden gelesen, teilweise aber mit Wochen Verzögerung und ohne Antwort.
Grund eins ist einfach eine Frage der Zeit. Ich sitze aktuell 40 Stunden pro Woche für einen Job vor dem PC, 30 weitere für ein Online-Studium, da versuche ich meine Freizeit möglichst abseits vom PC zu nutzen. Ich mache wieder netten Progress auf der Gitarre, hab einen neuen Lieblingssport entdeckt und dieses Jahr 15 kg abgenommen (nur noch 2 bis zum Ziel <3) und generell ist mein Leben ferab des Internets deutlich nicer geworden.
Das bringt mich zu Grund zwei: Ich nehme reddit, mein einziges Vehikel um den Blog zu bewerben, als einen immer negativeren Teil meines Lebens wahr und versuche, den Konsum von Medien so gut es geht zu reduzieren. Eigentlich hatte ich die - naive aber offensichtlich inkorrekte - Hoffnung, dass Trump dieses Jahr von der Bildfläche verschwinden und der Politikdiskurs sich etwas normalisieren würde. Ups, voll daneben. Stattdessen reichen die toxischen Tentakel dieses seltsamen Politik-als-Mannschaftssport Phänomens in jeden online Space. Und spätestens seit dem 08.10.2023 ist klar, dass auch die linke Hälfte des politischen Spektrums völlig den Verstand verloren hat. Das brauche ich alles nicht in meinem Leben, die negativen Konsequenzen werden mich IRL noch bald genug erreichen, da muss ich nicht im Vorfeld schon meine Gedanken darauf verschwenden.
Das soll noch kein Abschied sein. Die Achim-Geschichte wird ein Vierteiler, eine Geschichte auf die ich jetzt schon ein wenig stolz bin, und wenn mich die Muse küsst oder ich mal wieder etwas tiefer in die Weinflasche schaue kommt auch Stütze noch mal zum Vorschein.
Aber aktuell ist das Leben ohne Internet zu nice, um viel Zeit hier zu verbringen.
Danke fürs Lesen und haut rein,
StSt