Freitag, 20. Juni 2025

Die Pforte

Mein Termin war am Freitag um 7:30 Uhr angesetzt, pure Schikane wie ich fand, denn gerade war die zweite WoW Expansion erschienen, und ich hatte weiß Gott Wichtigeres vor.  

Um halb sieben rollte ich mich aus dem Bett, dusche, dann ab auf’s Rad, zwei Stationen mit der Bahn und komme beim Jobcenter an. 

Die Sachbearbeiterin war bemüht, fragte mich nach meinen Ambitionen, wie immer bat ich um Hilfe bei der Ausbildungssuche und ich erwarte wie immer eine Liste prekärer Zeitarbeitsjobs zum Mindestlohn, aber diesmal werde ich überrascht: auf der Liste sind zwei Ansprechpartner für Ausbildungsplätze.

Ich gehe raus, draußen wird es schon brüllend heiß, dabei ist es gerade halb neun, und rufe die erste Stelle an. Direkt bekomme ich eine Einladung für den folgenden Montag und mein Instinkt ist es, jetzt nach Hause zu fahren und zu zocken, bis Montag durch, und dann beim Gespräch von mir zu überzeugen. Aber das minimale Erfolgserlebnis löst schon irgendwas in mir aus, und so fahre ich auf dem Heimweg bei der “Sofortvermittlung” vorbei. 

“Sofortvermittlung”, das war ein euphemistischer Begriff für Tagelohnarbeit unter Mindestlohn, also spontane Arbeit für Hartzer die Geld brauchten. Ein System der Ausbeutung, in dem sich trotzdem jeder als Gewinner fühlt. Das Jobcenter bekommt uns in Arbeit, die Arbeitgeber bekommen billige Lohnsklaven ohne Nebenkosten, und die Arbeiter können Geld am Jobcenter vorbei dazuverdienen.

Eigentlich brauchte man da nicht mehr nach sieben Uhr aufschlagen, denn die meisten Tagelöhner wurden für Baustellen eingestellt.

Meine Glückssträhne sollte aber nicht abreißen, und so sitze ich mit einer Hand voll Männern aus dem EU-Ausland im Wartezimmer als ein gut gekleideter Herr gehobenen Alters rein kommt und fragt ob jemand Deutsch spricht. Ich hebe die Hand und er ruft mich auf. Er stellt sich als Hauptpförtner einer Behörde vor, ob ich den Rest des Tages Zeit habe. 

Kurz darauf sitzen wir in seinem Smart, er erklärt mir den Job. Lass dir die Parkberechtigung zeigen, sagt er, und wenn das Gesicht auf dem Ausweis passt, machst du die Schranke hoch. Das sollte ich schaffen. “Wir zahlen acht Euro die Stunde”, sagt er, und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Das ist doch alles zu gut um wahr zu sein. Ich hoffe auf sechs Stunden, das wären 45 € für den Führerschein und ein Döner mit Dosenbier für den Heimweg. 

Dann stehe ich an der Schranke, unter einem Baum, es ist heiß aber der Schatten hilft, und alle paar Minuten kommt mal ein Auto, Ausweiskontrolle, Knopf drücken, Schranke auf, Schranke zu. Das ist doch zu gut um wahr zu sein, denke ich wieder, dann kommt der Herr zurück. Ich bekomme schon Panik, sicher haben die einen Fehler gemacht und brauchen mich gar nicht, aber er bringt mir nur eine Flasche Sprudel, es sei ja sehr heiß heute. 

Die Zeit vergeht, je später es wird desto seltener kommen Autos, und zu jeder vollen Stunde freue ich mich über die nächsten verdienten 8 Euro, bis ich sechs abgelöst werde. 

Der Pförtner kommt vorbei, gibt mir 64 € bar auf die Hand, und ich verabschiede mich. 

Jackpot, denke ich mir später, während ich mit Döner und Kioskbier am PC sitze, 60 Euro dem Führerschein näher, mit den Kollegen im Teamspeak und Dungeons in WoW grindend. 

Das Leben ist gut. 

 


Dienstag, 10. Juni 2025

Neuer Preis für die Druckausgabe

Moin Leute,

Amazon passt gerade seine Preise an und Autoren bekommen für Bücher unter einem bestimmten Schwellenwert erheblich weniger Tantiemen (von 60% auf 40% nach Druckkosten und Steuern).

Um weiterhin die alte Rate zu bekommen, habe ich den Preis der Print-Ausgabe meines Buches auf 11.99 € erhöht. Nicht, dass es bei der handvoll verkauften Büchern pro Woche einen merklichen Unterschied machen würde, lol. 

Wen es interessiert: vom neuen Preis sollten etwa 4 € bei mir landen, bei der Kindle-Version sind es 2.90 €. Beim alten Preis waren es genau 2.99 €; ein Drittel also.

Wem der Preis zu hoch ist, der bekommt die PDF- und Epub-Version weiterhin gratis per Mail. Dazu müsst ihr mir nur eine E-Mail oder eine Nachricht auf Reddit schicken. 

Haut rein und man liest sich, 

stst



Dienstag, 13. Mai 2025

Pendeln

2010 oder so. Der Bahnhof ist heiß und stickig und als dann endlich der RE5 ankommt, ist er voll mit Berufsschülern die gerade Feierabend machen.

Ich finde einen Sitzplatz, und neben mich setzt sich ein Schüler, und ich bin froh, unbehelligt lesen zu können. Dann ruft ihn aber ein Freund zu sich rüber, der Platz wird frei, und wird - gottverdammt - direkt von Uwe eingenommen.

Uwe ist mein Arbeits- und Pendelkollege, etwas langsam im Kopf, und füllt jeden Satz mit vielen überflüssigen und teils widersprüchlichen Wörtern auf. “Dieser unserer Zug ist aber heute mal wirklich wieder sehr voll mit Menschen” sagt er zu mir, aber heute habe ich wenig Geduld und sage nur ich würde gern lesen. “Na gut alles ist klar dann können wir uns ja dann gleich im Auto weiterunterhalten da kannst du ja auch gar nicht wirklich lesen das hast du ja schonmal versucht da wird dir ja auch immer etwas schlecht”…

Dann kommen wir in Remagen an, steigen aus, treffen Manu die uns fährt, gehen noch fix ein Brötchen bei Bäcker Müller und für jeden ein Wegbier holen und quetschen uns dann für die Fahrt in die Eifel in Manuelas winzigen Fiat Punto - der natürlich keine Klimaanlage hat.

Zu der Zeit wohnte ich auf dem Land, das erste Mal raus aus Köln, bei meiner Freundin, die wiederum in der Einliegerwohnung im Hause des Noch-Ehemannes wohnte und die mich - da war ich mir recht sicher - nur bei sich wohnen ließ, um ihn zu foltern. Unsere Beziehung war recht lieblos, nur ein Mittelfinger für den Ehemann.

Aber das nahm ich gern in Kauf, dafür, dass die Bude nur 200 € kostete und einen Balkon mit einem idyllischen Talblick bat. Nur das Pendeln nervte, morgens um vier raus, um um sechs die Frühschicht anzufangen, als Kommissionierer bei einem Versandhandel.

Da stand ich dann, am selben Band wie der langsame Uwe und die zweifache Mutter ohne Ausbildung, wie Migranten ohne Sprachkenntnisse oder anerkannte Abschlüsse, Mini- und Ein-Euro-Jobber, das geringverdienende Präkariat.

Aber während uns der kleine Fiat ächzend die Serpentinen hochschleppt, Uwe schlafend und Manu und ich schweigend unsere Feierabendbiere genießend, ist das alles vergessen. Die Straße schlängelt sich Steil den Berg rauf, die Sommersonne fällt durch das dichte Dach der Laubbäume, und ich verfalle kurz in Tagträume, wie Manu kurz am Wegesrand anhält und wir unsere Partner miteinander betrügen. Dann erzählt sie irgendwas von einem Geburtstagsgeschenk für eines ihrer Kinder und ich fühle mich so schuldig als wäre wirklich was passiert. Dann sind wir da, sie setzt mich ab, bis morgen sagt sie, und fährt mit Uwe noch ein paar Dörflein weiter, nach Oberirgendwasdorf, wo man einen Dialekt spricht, den schon in Niederirgendwasdorf niemand mehr versteht.

Dann sitze ich auf dem Balkon, schaue ins Tal runter, es ist gerade vier, in zwölf Stunden geht es schon wieder los, pendeln, Lebenszeit gegen Mindestlohn tauschen, und dann wieder pendeln…

Donnerstag, 1. Mai 2025

Bildungsfern: zweite Edition des Taschenbuches ist nun auf Amazon verfügbar

nur ein kurzes Update, die zweite und vorerst letzte Version meines Buches, mit einem Haufen Korrekturen und ein paar mehr Seiten, ist nun erhältlich.

Wer bisher unentschlossen war, oder von der "Unfertigkeit" der ersten Version abgeschreckt war, kann jetzt die korrigierte Version auf Amazon kaufen.

Haut rein und man liest sich,

St.

Donnerstag, 26. Dezember 2024

Weihnachten im Plattenbau

 “Sinn und Sinnlichkeit müssen draußen bleiben”, steht auf der Fußmatte der Wohnung meiner Eltern im Kölner Plattenbau. Nicht wirklich, aber so fühlt es sich an, als ich zu Weihnachten mal wieder die lange Fahrt auf mich nehme und die Wohnung betrete.

Mein Mantra, “halt dich da raus!”, ist fast sofort vergessen. Neben meinem Vater auf dem Sofa sitzt ein älterer Typ, den ich zuerst für einen Freund meines Vaters halte. Schmierige Haar-Reste, in gegelten oder verschwitzten dünnen Strähnen über seine Glatze gekämmt, fett und mit einem rattenartigen Gesicht. In der Essecke sitzt Jeremy-Kyle mit Kopfhörern und zockt Minecraft auf seinem iPad.

Ob ich über die A1 oder die A3 gefahren sei, will mein Vater wissen, und egal wie ich antworte, ich werde Spott für die Antwort ernten. Dann kommt meine Schwester aus der Küche, zwei Bier in der Hand, eins für Vater, eins für Schmierlappen. Statt einem Danke haut er ihr auf den Arsch und sie boxt seine Schulter. Ich gucke mich nach meinem Schwager um und plötzlich schwant mir Böses. Halt dich da raus, sag ich mir, und dann frage ich wo mein Schwager ist.

Schwesterchen hat ihn wohl verlassen, nachdem Herbert, so heißt der Schmierlappen, sie auf Facebook kontaktiert und ihr das Blaue vom Himmel versprochen hatte. Der war wohl in Frührente, nachdem er viele Jahre bei MAN LKWs gebaut hatte, ein Fakt der alleine reichte um meinen Vater völlig um den Finger zu wickeln, und genieße nun die Art von üppigem Leben, die meine hochverschuldete Schwester sich nur träumen lassen könne. Selbst ein eigenes Haus hat er.

Dann setze ich mich zu Jeremy-Maddox und frag ihn nach seinem Lego Hogwarts und er sagt mir, dass Herbert ihm “Lego-Verbot” erteilt habe. “Du sollst mich doch Papa nennen” ruft Herbert böse vom Sofa aus und selbst meine sonst teilnahmslose Mutter guckt ihn böse aus. Halt dich da raus

Während Schmierlappen und Vater über die gute alte Zeit sinnieren, in der LKWs noch richtig gebaut wurden, bauen Mutter und ich das Raclette auf. Irgendwann sitzen wir alle am Tisch und essen, Mutter bringt mir noch einen Kaffee, in den ich Hafermilch schütte. Ob ich jetzt Veganer sei, fragt Vater verächtlich, während ich mir eine Pfanne voll Käse und Hackfleisch reinziehe, und Herbert grölt als er habe er noch nie einen besseren Witz gehört.

Später sind meine Schwester und ich in unserem alten Kinderzimmer, sie raucht am Fenster, wie sie es in der Jugend immer tat und ich stell mich zu ihr. Halt dich da raus, bete ich mir vor, und dann frage ich sie nach Herbert. Brandon-Kyles Vater war doch immer gut zu euch, sag ich. Ja, aber mit seinem Gehalt werde ich die Schulden nie los, sagt meine Schwester unverblümt.
“Du meinst DEINE Schulden?!” Sage ich etwas zu anklagend. Sie schnippt die Kippe aus dem Fenster, guckt mich böse an und geht.

Dann sitzen wir auf dem Sofa, zischen ein Bierchen, und für einen Moment verliere ich mich in Gedanken. Mutter bietet Kyle-Jason ein Eis an, der fragt nach Schoko und Walnuss. “Nur ein Löffel!”, schreit der Schmierlappen böse vom Sofa. Stefan, halt dich einfach raus, denke ich mir. Du machst es nur schlimmer. Ich stehe auf, gucke ihn an und sage: “So, wir unterhalten uns jetzt mal im Hausflur”, aber der Feigling bleibt sitzen und bringt nur einen dummen Spruch.

Bleibt locker, Jungs, sagt meine Schwester und lacht. Meine Wut wird zur Trauer als mir klar wird, dass ich das alles schonmal erlebt habe. Wie oft hätten meine Schwester und ich uns gewünscht, dass sich unsere Mutter zwischen uns und einen herrischen Kleingeist, einen schwachen Tyrannen stellt. Und jetzt holt sie sich eine Kopie meines Vaters in Haus... 

Ich geb dir mal meine Nummer, sage ich zu Kyle-Jeremy, während ich Herbert in seine geistlosen Augen gucke. Und wenn der Schmierlappen dir mal doof kommt, dann rufst du mich an, und dann kümmern dein Papa und ich uns darum.

Dann sage ich tschüss zu meiner Mama, nehme mir noch ein Wegbier, und während ich die Treppen zu meiner Karre runterstiefel, freue ich mich auf 364 Tage Ruhe.