Montag, 26. Februar 2024

Bildungsfern: zweite Edition des Taschenbuches ist nun auf Amazon verfügbar

nur ein kurzes Update, die zweite und vorerst letzte Version meines Buches, mit einem Haufen Korrekturen und ein paar mehr Seiten, ist nun erhältlich.

Wer bisher unentschlossen war, oder von der "Unfertigkeit" der ersten Version abgeschreckt war, kann jetzt die korrigierte Version auf Amazon kaufen.

Haut rein und man liest sich,

St.

Dienstag, 6. Februar 2024

Johanna

Nicht der Armen Schlechtigkeit hast du mir gezeigt, sagt die heilige Johanna der Schlachthöfe zum Mauler, sondern der Armen Armut. Oder so ähnlich, hab das Buch nicht mehr. Daran muss ich manchmal denken, wenn ich meine jugendlichen Diebeszüge rechtfertigen will.

Unsere Abschlussfahrt stand an, Hype auf dem Schulhof, die 9c fährt nach Holland, und da auf ein Boot, und meine Freunde und ich sich uns einig, dass wir uns völlig die Birne wegballern werden, und Ingo will gehört haben, dass die Holländerinnen mit jedem schlafen, dafür seien die berüchtigt, und er bittet uns schonmal, die Schlafkabine zu räumen, wenn er ein paar Holländerinnen mit aus Boot bringt.

Und wäre da nicht sofort der Gedanke ans Geld, dann wäre ich sicher genau wie Ingo notgeilen Tagträume verfallen.

Über 100 Euro soll der Spaß kosten, zu überweisen auf das Konto der Klassenkasse, und ich bin sicher, meine Eltern geben mir keinen Cent dazu. Erste Anlaufstelle also, meine Schwester, die zwar auch kein Taschengeld bekam, aber sich trotzdem immer ein paar Euro ergaunern konnte, aber auch die war gerade fast blank, zwanzig Euro, sagt sie, könne sie beisteuern. Ich bin dankbar, und plötzlich kommt mir der Betrag nicht mehr ganz so überwältigend vor.

Also mal wieder Rohlinge klauen.

Die ultra-baggy Cargojeans von Fishbone, ein Überbleibsel der 90er in meiner beschränkten Garderobe, erweist sich mal wieder als nützlich. Rein in den Laden, zehn Minuten sehnsüchtig vor den PS2-Spielen gestanden, kurz eine Demo getestet, im Vorbeigehen zwei Rohlingspindeln gezockt, eine in jeder Beintasche, leicht verdienter Zehner, und die Kassiererinnen sehen nur einen armen Buben der zu arm für den Mediamarkt ist. Wieder hab ich das Risiko und wieder macht Ingo die Kohle mit den gebrannten CDs - Mann, hätte ich nur einen eigenen Brenner - aber so finanziere ich nach und nach die Klassenfahrt und freue mich schon auf die Holländerinnen und darauf, mal auf einem Schiff zu sein, und auf einen letzten Ausflug mit meinen Schulfreunden, mit den Kernasis der 9c.

“Stefan, bleibst du noch kurz nach der Stunde hier?”, fragt meine Lehrerin, und jeder denkt ich bekomme Ärger für diese oder jene Untat, für diese oder jene Unterbrechung, oder für die seit Wochen nicht gemachten Hausaufgaben.

Aber sie erzählt mir dann, sie und ein paar Eltern haben entschieden, dass die Kosten für mich - und ein paar andere Kinder mit armen Eltern, das betont sie extra, damit ich mich nicht so schäbig fühle - aus der Klassenkasse bezahlt werden, damit auch alle mitkommen können. Aber bitte benehmt euch, sagt sie noch mahnend, als bereue sie die Entscheidung schon, ihr seid ja fast erwachsen.

Euphorie. Über 100 € in der Tasche. Ich darf mit nach Holland, und ich habe über 100 € in der Tasche.

Dann, das schlechte Gewissen. Die Welt ist großzügig, zu mir, zum Rohlingdieb, zum Hehler.
Soll ich das Geld vielleicht spenden? Zweimal musste ich schon zur Strafe fürs Schulschwänzen bei der Tafel arbeiten, die könnten das Geld sicher brauchen. Ich denke an die Kunden der Tafel, denen es meist schlechter geht als mir, an die Penner und Rentner, an die Mutter mit der behinderten Tochter, die immer so furchtbar dankbar ist, wenn wir ihr den Korb mit Obst und Brot füllen. Es ist klar, was ich tun muss.

Noch am selben Nachmittag gehe ich zu Media Markt und kaufe mir einen Brenner. 

Sorry, Johanna, manche Menschen sind halt arm UND schlecht.