Donnerstag, 23. Februar 2023

Mezzanine

Kann nicht pennen und hab mich an ein erfolgloses Date erinnert, hoffe die Geschichte ist zumindest halbwegs kohärent. Gute Nacht.

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“Na?”, schrieb sie, auf Bumble.
“Hey”, schrieb ich zurück.

Und drei Stunden später saß sie dann neben mir auf einer Parkbank an der Ahr. Sie erzählte mir vom Hund und von ihrem Sohn und von ihrem Ex, der ihr immer mal wieder Geld schuldete, und von ihren Eskapaden in Australien, das war bevor sie den Sohn hatte, und ich hörte nur halb zu. Da ich selbst nicht viel zu erzählen hatte, waren mir ihre ausschweifenden Geschichten, von denen die Hälfte offensichtlich erfunden waren, ganz recht.

Ich sähe jünger aus als auf meinen Fotos, sagte sie. Du auch, log ich. Irgendwann hole ich meine Flasche Rotwein raus, den trockenen Roten aus Walporzheim, und sie lacht und sagt sie habe dieselbe Idee gehabt. Sie öffnet ihren Rucksack, zeigt mir die Flasche, trocken, rot, zu meiner Freude, und ich teile meine Flasche mit ihr, schmecke den Zigarettenrauch am Flaschenhals, und sie teilt ihre dann später mit mir. Es wird dunkel und ich hole die Decke raus, und wir decken uns zu. Sie wird kuschelig und noch ist mir das ganz recht.

“Ich muss dir was sagen”, sagt sie.  “Ich wohne aktuell bei meiner Mama. Die hilft mit dem Sohn und dem Hund." Und ich frag mich, ob mich das stören sollte, schließlich habe ich längst beschlossen, dass ich nie zu ihr gehen werden, und höre ohnehin kaum noch zu. Wäre ich einen Kopf größer, sagt sie, könnte sie richtig Interesse an mir haben, während sie unbeholfen an meinem Reißverschluss rumfummelt. Ach, sag ich nur.

Irgendwann stehen wir auf, gehen um kurz vor Ladenschluss noch in den Edeka, kaufen jeder noch eine Flasche Wein, einigen uns auf den trockenen Roten aus Walporzheim. Die Kassiererin fragt mich nach dem Ausweis, und ich lache, denn ich habe längst die dreißig hinter mir, und ich bin ihr sofort verfallen, ein nettes Wort und sie hat mich. Aber stattdessen spaziere ich kurz darauf mit der Bumble-Frau durch die Weinberge, die gewölbte Bank suchend, auf der man so gut Gitarre spielen kann. Wir schauen aufs Tal runter, die dritte Flasche fast leer, ihre Hand wieder in meiner Jeans. Das Gespräch wieder langweilig, einseitig.

“Ich glaub das wird nichts mehr.”, sag ich, und sie zieht ihre Hand raus. “Wollen wir vielleicht zu mir gehen?” fragt sie, “meine Mutter schläft sicher schon.” Aber die Mutter schlief nicht, sondern begrüßte uns, und ich nicke ihr zu, und kann kaum noch laufen, trinkfest war ich noch nie, und sie, also das Bumble-Date, zerrt mich die Treppe hoch in ihr Schlafzimmer, mit niedriger Decke, das zweifelsohne mal ihr Kinderzimmer gewesen sein muss. “Mein Sohn schläft nebenan, wir müssen leise sein.”

Mir ist das nur recht, denn eigentlich will ich nur pennen. Sie geht pissen. Draußen hört man den Fluss, der aktuell nur ein kleines Bächlein ist, leise plätschern. Ich finde es gemütlich, bis sie zurück kommt. Die Zähne offenbar nicht geputzt, der Rauchgeruch ist unerträglich. Sie ermahnt mich, mit einem Ton der verspielt klingen soll, dass man ja im Bett keine Jeans trägt, und sie zieht mir die Jeans aus, und mir fällt auf, dass uns gar kein Hund begrüßt hat - ob sie den wohl nur erfunden hat? -  und ich frage, ob ich Musik anmachen kann und bin froh um die Ausrede, mich unter ihr ausgraben und aufstehen zu können.

Vielleicht bringt mich Mezzanine, ein Album das mich schon bei mancher Begegnung begleitet hat, in Stimmung. Und während ich wieder liege erinnert mich jedes Lied und jeder Takt an eine andere Begegnung, an Zeiten in den ich noch Freude an dieser Art von Abend hatte, an denen ich noch im Hier leben konnte, im Jetzt, präsent, und offen für jede Frau die mich wollte.

Nostalgisch schlafe ich ein, genervt wache ich auf. Mein Date reitet mich, mir ist übel und mein Kopf tut weh. Ich fühle mich untenrum taub, zu schwer die ist Last auf meinen Hüften, zu gleichgültig und zu blau bin ich. Trotz ihrer Bemühungen schlafe ich irgendwann wieder ein und werde erst wieder wach, als sie mir laut schnarchend stinkende Luft ins Gesicht bläst. Ich rolle mich aus dem Bett und schleiche mich aus dem Haus. Es ist noch dunkel, aber die Vögel kündigen bereits die Dämmerung an.

Während ich die Ahr hinauf nach Hause laufe, vibriert irgendwann mein Handy. Ihre Nachricht ist zu böse und zu lang, um sie ganz zu lesen, irgendwas mit Napoleon, irgendwas mit Impotenz, wen kümmerts. Ich löse das Match auf, habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr auf der Suche nach Nähe nicht helfen konnte und fühle mich zum ersten Mal ein wenig mit ihr verbunden.


Mittwoch, 15. Februar 2023

Nora

 

Mai, irgendwann um 2007 rum. Die neunte Klasse und damit meine Schulzeit neigen sich dem Ende zu. An einem lauen Abend hänge ich mit meinem Freund Kevin am späten Abend auf einem Kinderspielplatz herum. Nur die Schaukeln, auf denen wir sitzen, sind noch halbwegs intakt.

 

Das Klettergerüst ist beschmiert mit amateurhaftem Graffiti, die Rutsche hat einen dicken, braunen Streifen in ihrer Mitte. Rost, hoffe ich. Der Sand ist voll mit Kippen, überall liegt Müll. Kinder spielen hier selten.

 

Kevin hat bereits seine dritte Dose Kölsch geleert, fängt die vierte an, ich bin noch bei der zweiten. Für unser Alter sind wir sehr nostalgisch und fangen jedes neue Thema mit der Phrase „weißt du noch?“ an. Während wir in Erinnerungen schwelgen und uns Geschichten erzählen, von denen wir beide wissen, dass sie völlig übertrieben sind, aber es aus Respekt vor dem anderen nicht aussprechen, wird es dunkel. Irgendwann legt sich Kevin in den Sand und fängt zu schlafen an. Ich sitze weiter auf der Schaukel, nippe zwischendurch an meinem Bier und genieße das absolut perfekte Maß an Beschwipstheit.

 

„Was macht ihr denn hier noch?“ fragt eine Mädchenstimme, und plötzlich bin ich wieder hellwach. Nora aus der 9c. „Ähm, nix“ sage ich, und hoffe inständig, dass ich dabei cool und gleichgültig wirke. „Geht’s deinem Freund gut?“ fragt Nora. „Ja der pennt nur.“

 

Was trinkstn da, fragt sie, und ich sage Bier. Biete ihr einen Schluck an. Mit einem Blick auf Kevin verneint sie. Ich hoffe sie denkt, ich habe meinen Teil zu den vier Dosen beigetragen, die um Kevin herum verteilt sind. Hoffe sie vergisst für einen Moment, dass wir im selben Jahrgang sind. Hoffe dass sie mich für erwachsen und draufgängerisch hält. Hoffe, dass sie sich nicht mehr daran erinnert, wie ich in der Dritten mal wegen Durchfall von der Schule abgeholt werden musste.

 

„Weißt du schon, was du nach der Schule machst?“, fragt Nora.

„Noch keine Ahnung. Hab mich beworben, aber bisher noch nichts. Du?“

„Erstmal noch ein Jahr Schule, für Real“, sagt Nora. „Hmm“, sage ich und bin etwas traurig, dass meine Noten nicht für die Quali gereicht haben.

 

Wir reden noch ein bisschen, Nora sitzt auf dem Rad, raucht eine Zigarette, mein zweites Bier neigt sich dem Ende zu. Die Schwelle der angenehmen Beschwipstheit habe ich hinter mir gelassen. Ich bemühe mich um einen gleichgültigen Ton und frage irgendwann, mit all dem Charme eines betrunkenen Teenagers der nachts auf einem Kinderspielplatz billiges Aldi-Dosenbier trinkt: „Kannst mir deine Brust zeigen?“

 

Nora lacht. Die linke oder die rechte, fragt sie. Ich muss knallrot geworden sein. Ich bete, dass Kevin nicht aufwacht und stammle vor mich hin… „ähm, die rechte?“ und weil ich das für höflich halte: „Bitte?“

 

Nora steckt sich von oben die Hand ins Top und zieht sie sofort wieder mit erhobenem Mittelfinger raus. „Schön, oder?“. Ich sterbe innerlich und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. „Haha, ja“. Die nostalgische, gemütliche Stimmung habe ich damit ruiniert. Nora bleibt nicht mehr lange. „Wenn sich das rumspricht…“ denke ich kurz, bis mir einfällt, dass die Schule eh bald enden wird.

 

Irgendwann schwinge auch ich mich auf mein Rad. Während ich nach Hause radle, denke ich an Nora und daran, dass ich die Schule vermissen werden und frage mich, ob ich nicht irgendwas vergessen habe.