Montag, 20. März 2023

Irgendwas stimmt mit Jochen nicht

Als Domis Roller eines Tages den Geist aufgab, hatten wir keine andere Wahl, als uns ausnahmsweise bei ihr zu treffen.

Domi war meine erste Freundin. Eigentlich wollten ihre Eltern sie Dominique nennen, aber irgendwie konnten sie das nicht schreiben, also hieß sie Dominik. So richtig, auf ihrem Ausweis.

Nun, nach einem Jahr Beziehung war es dann so weit, und ich habe sie das erste Mal zu Hause besucht. Sie lebte ländlich, die Familie bewohnte ein kleines, heruntergekommenes Haus. Domi, ihre Schwester, ihr kleiner Bruder Spike, ihr Stiefvater, nennen wir ihn Jochen, ihre Mutter, ein schwerst übergewichtiger Beagle und ein Haufen Katzen, die ständig ein und aus gingen.

Schon im Hausflur stank es nach Zigaretten und wir mussten über haufenweise Schuhe, Gummistiefel, ein Dreirad und eine fehlende Treppenstufe klettern, um in ihre Wohnung zu kommen.

In der großen Wohnküche standen zwei kleine Schreibtische mit Computern, Domis Mutter und Stiefvater je an einem davon. Wir sagen “Hallo”, die Eltern ignorieren uns fast gänzlich, die Rücken uns zugekehrt. Die Mutter in einem Chat-Raum, der Stiefvater ein Online-Kartenspiel spielend. Auf beiden Tischen stehen reihenweise Kaffeetassen, gefüllt mit Kippen, gerade genug Platz für Maus und Tastatur verbleiben.

Ihr Kinderzimmer teilt sich Domi mit ihrer kleinen Schwester, die wohl unterwegs ist, und so haben wir zwei degenerierten Teenager das Zimmer für uns und es dauert keine Minute, bis Domi mich reitet. Ich merke dass sie abgelenkt ist und ihr Top nicht ausziehen will und ständig zur Tür guckt. “Was ist los?” frag ich. “Jochen hört immer wenn ich ficke und kommt dann zufällig rein”.

Und siehe da, die Tür geht einen Spalt auf, und Jochen möchte wissen, wann es Mittag gibt. “Verpiss dich, Jochen” sagt Domi, ohne aufzuhören, mich zu reiten. Jochen lacht dreckig, und steckt den Kopf zur Türe rein. Verpiss dich, ruft Domi noch mal, und aus dem Wohnzimmer brüllt ihre Mutter, er solle uns doch mal in Ruhe lassen. Und wieder lacht Jochen dreckig, aber tatsächlich verschwindet er, ohne die Tür zu schließen.

Irgendwann ruft Domis Mutter, dass Spikes Windeln gewechselt werden müssen, und wir unterbrechen den Akt. Domi geht ins Wohnzimmer, ich liege auf dem Bett und nur die Verheißung, dass wir später weitermachen, hält mich davon ab, sofort wegzurennen.

Irgendwann stehe ich auf, gehe ins Wohnzimmer, setze mich an den Esstisch, habe das Gefühl das ist höflich. Domi spielt mit ihrem Bruder, der nicht, wie ich erwartet hatte, ein Säugling, sondern ein rundlicher Dreijähriger ist. Domi setzt sich zu mir, lehnt sich an mir an, sagt mir, dass sie uns Pizza bestellt hat. Jochen lacht, ist sich der Herr Prinz etwa zu fein, aus unserer Küche zu essen? Womit ich den Spitznamen verdient habe, verstehe ich zwar nicht, aber während ich in die Küche schaue, voll mit Katzenhaaren und Aschenbechern, ein offener gelber Sack mit Katzenstreu und Windeln auf der Arbeitsplatte, komme ich mir tatsächlich, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, zu fein für etwas vor.

In dem Moment wusste ich meine Eltern zu schätzen, die zwar auch von Sozialhilfe und Hartz 4 lebten, aber einen sauberen Haushalt führten und nie auf die Idee kämen, meine Schwester oder mich beim Sex erwischen zu wollen. Wenn man die Erwartungen nur niedrig genug hält…

Irgendwann kommen unsere Pizzen, Domi und ich essen am Küchentisch, Jochen kommt an und bedient sich an ihrer Pizza. Die Kippe in der linken Hand, die Pizza in der rechten. “Stefan versucht hier zu essen”, ermahnt ihn Domi. “Na und, das stört mich doch nicht beim Rauchen!”, sagt er, laut und widerlich lachend. Mir fallen seine fehlenden Eckzähne auf, und eine Fettwulst, die sich in seinem Nacken auftürmt, während er die Scheibe Pizza in sich verschwinden lässt. “Jochen, du bist ein Arschloch” sagt Domi. “Du sollst mich doch Papa nennen”, erwidert Jochen.
Dann ruft er laut nach Spike, und statt dem Dreijährigen, der anteillos auf dem Boden sitzt und in ins Leere starrt, kommt der Beagle um die Ecke und bekommt eine Scheibe Pizza.

Häh? Frage ich. Heißt der Hund etwa auch Spike? Domi wird rot, irgendwie scheint ihr in all dem Chaos und Elend DAS am peinlichsten zu sein. Ihre Mutter ruft, mit einem Akzent, von dem ich später lerne, dass er sächsisch ist, vom ihrem Schreibtisch auf: “Ja, aber der Hund war zuerst da.” Domi hat Tränen in den Augen. Ich frage nicht weiter.

Nach dem Essen ziehen wir uns in ihr Zimmer zurück, ihre Schwester ist mittlerweile nach Hause gekommen, und so beherrschen wir uns und chatten mit Schulfreunden in ICQ, gucken uns den Fail Blog an, lachen über z0r und German Bash. Domis Schwester guckt und lacht mir, wirkt nett, aufgeweckt und erstaunlich normal.

Irgendwann klopft es an der Tür, die Mutter ruft uns, wir sollen doch bitte in die Garage kommen, das neue Auto sei da. Ich weiß nicht worum es geht, und Domi erklärt mir, dass Jochen ein neues Auto bekommen habe, und wir uns das mit ihm ansehen müssen. Mir ist das Ganze zuwider, was interessiert mich das neue Auto dieses Spinners, aber gut, für Domi gehe ich mit runter.

Und so stehen wir zu fünft um einen in die Jahre gekommenen, ranzigen kleinen Opel, in der halbdunkeln Garage, Jochen mit einer Tüte Chips, bestimmt zehn Minuten, und die Mutter sagt wir können ruhig Fragen zu dem Auto stellen, aber niemandem fallen Fragen ein, und Jochen platzt fast vor Stolz und Ehrfurcht, und ich bin verwirrt und versuche nicht zu lachen, und Domi wirft mir flehende Blicke zu, als befürchte sie, dass ich die Absurdität dieser Situation mit einem Lachen exponieren könnte, und Jochen schiebt sich faustweise Chips in den Rachen, das Auto umkreisend, als hätte er in seinem Leben kein solches Wunder gesehen. Weitere, quälende Minuten vergehen, dann setzt er Spike - das Kind, nicht den Hund - auf den Fahrersitz, und lacht, und nennt ihn den kleinen Rennfahrer, ganz der Papa eben, und ist dann eingeschnappt, dass sonst niemand lacht, außer Domis Mutter, der niemand die Echtheit ihres bemühten Gelächters abkauft.

Irgendwann sitze ich auf dem Rad nach Hause, der Tag wirkt wie ein wirrer Fiebertraum, und ich lege mir schon Formulierungen zurecht, wie ich morgen Kevin davon berichten werde.

Moment mal, denke ich mir. Jochen hört immer, wenn sie fickt?

Aber ich war doch zum ersten Mal bei ihr…

Montag, 6. März 2023

Permaban auf r/de und die Zukunft des Blogs

Permaban von r/de

Aktuell werde ich häufig gefragt, wieso ich nicht mehr auf /r/de poste. 

Leider wurde ich da, relativ willkürlich, gebannt. Zuerst habe ich eine (berechtigte) Verwarnung bekommen. Hab in einen Post einen Link zu meinem Blog später reineditiert, was offensichtlich gegen die Regeln zur Eigenwerbung verstößt. Das war etwas dreist und rückblickend dämlich.

Ich habe die Warnung sehr ernst genommen und nicht mehr gegen Regeln verstoßen, aber irgendein Mod meinte dann dennoch mich bannen zu müssen, nachdem ich meinen nächsten Text gepostet hatte. Auf das Ban-Appeal und die Frage, was ich denn falsch gemacht habe, kam dann die kafkaeske Antwort (sinngemäß): "Wenn wir dir sagen würden, was du genau falsch gemacht hast, würdest du das Wissen nur nutzen um in Zukunft Regeln zu brechen."

Ich hab sogar angeboten, dass ich nur noch die Texte ohne jeden Bezug zum Blog poste und gar nicht mehr kommentiere, aber das wurde einfach ignoriert.

Natürlich leidet darunter die Sichtbarkeit des Blogs. Ich würde mich also freuen, wenn ihr ihn mit den Freunden teilt, von denen ihr denkt, dass sie darin einen Mehrwert finden. Die Texten fanden auf DE immer einen großen Anklang und es wäre schade, wenn sie in Vergessenheit geraten. 


Die Zukunft des Blogs

Im Moment habe ich einen Haufen Ideen für weitere Texte und bereits geschriebenes Material für mindestens drei davon. 

Neben dem geplanten Buch ist auch das Projekt der eigenen Website noch in der Mache, aber eins nach dem anderen. 

Also, danke für's Lesen und für's Teilen und haut rein!


Samstag, 4. März 2023

Die gute Ute

An meinem ersten Arbeitstag im Callcenter führte mich der Teamleiter herum und jeder der gerade nicht im Telefonat war stellte sich höflich vor. Fast keinen der Namen habe ich anfangs behalten, Utes Namen aber schon.

"Das ist die Ute. Ne echt gute!" Ein Witz, der schon beim ersten Mal wohl nicht lustig war, aber er wurde nie müde ihn zu wiederholen und Ute wurde nie müde schallend darüber zu lachen.

Schallend lachen, das konnte sie. In so manchem Telefon das ich führte sprachen die Kunden mich darauf an. "Da hat aber jemand Spaß" oder "Die Dame klingt aber herzlich!" und immer war Ute der Auslöser, die alles lustig fand. Und Muffins oder Brownies oder Kekse für das ganze Team, die brachte sie auch immer mit.

Ihr Schreibtisch war als einziger richtig geschmückt. Geschmückt von Snickers-Verpackungen, von einem Kaktus, von Bildern ihres Sohnes, von leeren Brötchentüten, Geschirr und Besteck, von einer Porzellanfigur die von vorne wie eine Katze und von hinten wie ein Penis aussah - eine schier unendliche Quelle an Witzen für Ute und den Teamleiter, von einem USB-Ventilator und einem USB-Wärmekissen und vielen anderen Geräten, die eindrucksvoll zeigen, wie U eigentlich so ein SB sein kann.

Im Pausenraum ging es dann völlig ab, da legte sie einen Schalter um, da konnte sie alle Hemmungen loslassen, da konnte sie richtig sie selbst sein. Der Teamleiter brachte einen Witz und meist brach Utes explosionsartiges Lachen noch lange vor der Pointe aus ihr heraus. Und wehe dem, der eine Banane essen wollte. Je nach Laune war das entweder der Anlass für einen Peniswitz, einen Veganerwitz, oder einen "biste etwa auf Diät?"-Witz.

Wie schade, bemerkte sie mal, dass ich nicht Mirko heiße, denn dann hätte sie einen super Spitznamen für mich, Mikro nämlich, weil ich so klein sei. "Jepp, aber ich heiße ja nicht Mirko." Was hatten wir Spaß zusammen. Ein Kollege hieß Max und hatte schon mit Anfang 20 eine Glatze, und irgendwann fing sie an ihn Maximilian zu nennen, und niemand verstand den Witz, bis sie eines Montages - natürlich im Pausenraum - anfängt ihn "Leukemilian" zu nennen, weil Krebs, und er hat ja keine Haare, und fast niemand lacht, aber das ist okay, denn die gute Ute lacht für alle mit. Die eigenen Witze sind doch die besten.

Je nach Vertrautheit mit den Kollegen gingen die Witze teils tief unter die Gürtellinie. Zum Teamleiter, dem Micha, ihrem besten Freund im Büro, war sie besonders brutal. Sein wunder Punkt: eine schmerzhafte Scheidung, die ihm vor kurzem Kind und Kegel gekostet hatte. Aber Ute ist eine Gute und hat immer tröstende Worte parat: "Keine Sorge[sie kichert, muss Luft holen], sie hat den Neuen bestimmt nur genommen [ihre Lippen zu einem riesigen Grinser verzogen, es folgt ein Ulk der seinesgleichen sucht] weil er einen viel größeren Penis hat!"

Und hat sie mal einen wunden Punkt gefunden, lässt sie so bald nicht los:

"Hey Micha" ruft sie später quer durchs Büro, und in mir zieht sich schon alles zusammen. Jetzt kommt es wieder. Das schwerfällige, gekünstelte Setup. "Sag mal, sind eigentlich gerade Schulferien in NRW?" Sie kann sich kaum halten, ihr immenser Körper zittert vor unterdrücktem Lachen. Der als Punchline getarnte, abmahnungswürdige HR-Verstoß. "Ach ne, sowas muss dich jetzt ja nicht mehr interessieren!". Der traurige Versuch des Teamleiters, humorvoll Retoure zu geben. "Ich werf dir gleich den Tacker annen Kopp!"

Und so macht sie ihre Witze, und jede Grenze darf überschritten werden, denn Humor ist Humor, und bei uns geht man ja nicht zum Lachen in den Keller. Außer natürlich über ihr Gewicht, das würde zu weit gehen. Aber Scheidung, Pener, Krebs, Pener, Veganer, Fisting, Pener, Politik und Religion - das gehört natürlich alles an den Arbeitsplatz.

Denn bei uns ist man eine Familie, und die Ute, datt is' ne Gute.