Freitag, 30. Juni 2023

Der Pitch (Jochen, Teil 2)


"Meine Eltern kommen heute vorbei", sagte meine Freundin, Domi, und sofort ging meins Puls hoch. 

Zweimal hatten uns ihre Eltern besucht. Es ging beide Male um Geld. Einmal wollte uns ihre Mutter zeigen, wie man richtig einkaufen geht. Da hatten wir gerade unsere erste eigene Wohnung, waren fast volljährig, und ihre Mutter, um guten Willen zu zeigen, wie ich dachte, ging mit mir zu Aldi. Sofort merkte ich, dass ich von der Frau nichts lernen konnte. "Nimm doch diese Teewurst, die kostet 20 Cent weniger." Ja, aber ist halt auch nur halb so viel drin. "Nimm am besten die Eigenmarke, die ist billiger." Ja danke, ich bin ja auch zum ersten Mal in einem Laden... An der Kasse angekommen legte sie dann zwei Schachteln Kippen mit aufs Band, "so als kleines Dankeschön für die Hilfe", sagte sie. Und ich sagte das könne sie vergessen, und dass ihre Tipps nutzlos waren, und dass sie mich nur ausnutzen wollte.

Beim zweiten Mal wollte Jochen mir ein Geschäft vorschlagen, und ich müsste nur 150 € investieren und er würde es in sechs Wochen verdoppeln. Er habe ein Händchen für sowas. Wenn er ein Händchen für sowas hätte, warf ich ein, wieso muss er sich dann 150 € von einem arbeitslosen Teenager leihen? Diplomatie war nicht meine Stärke, aber mein Bullshit-Detektor war präzise kalibriert. Die Frage passte ihm gar nicht, und er warf mir Arroganz und Geiz vor. Dass ich beim besten Willen keine 150 € gehabt hätte, erwähnte ich erst gar nicht.  

Ich hatte schon damit gerechnet, dass Domis Eltern bald aufschlagen würden, denn ich hatte, zum Teil durch Aufstocker-Jobs, von denen ich nur 100 € im Monat behalten durfte, genau 1250 € für den Führerschein auf einem Sparbuch geparkt. Einen nicht unerheblichen Teil dieser Summe hatte ich also mit Arbeit verdient, für die ich effektiv nur 1-2 € die Stunde bekam. Das Sparen hatte deutlich über ein Jahr gedauert, und ständig hatte ich mich bei Domi darüber beschwert, wie viele Stunden ich nun schon investiert hatte, was ich mir alles nicht gekauft hatte, und wie lange ich mich schon auf die mit vielen Arbeitsstunden erkauften Fahrstunden freute.

Und so kam es, wie es kommen musste, und Domis Eltern, mit den beiden Spikes im Schlepptau, die Mutter dürr und dreckig, der Jochen fett, beide eckzahnlos, saßen in unserem winzigen Wohnzimmer auf dem Sofa, Domi und ihre Eltern rauchend, die armen Spikes gleich passiv mit, und ich genervt, dass ich nicht WoW zocken konnte. So begann der erbärmlichste Investment-Pitch der Geschichte:

"Wir haben eine Geschäftsidee", erklärte Jochen dann, und erzählte davon, dass er Kaugummiautomaten aufstellen wollte, zuerst in seiner Nachbarschaft, aber dann, im großen Stil, auch in Köln in der Innenstadt und vor Supermärkten und so, und mit anderen Süßigkeiten, und später auch mit Zigaretten. "Dürft ihr das überhaupt?" frag ich, und Jochen, genervt, dass ich mich mit Details beschäftige, denn er will zum Punkt kommen, sagt: "Ja wer soll denn was dagegen haben?"

Die Idee könnte klappen, aber das Geschäftskonzept ist überhaupt nicht durchdacht. Er rechnet kurz vor, ein Kaugummi kostet im Einkauf X und im Verkauf Y, also ist Y-X purer Gewinn. Passives Einkommen, sozusagen, obwohl das damals noch kein Modebegriff war. Und was kosten die Automaten, frag ich,  aber "das ist ja nur eine einmalige Investition". Und wenn der geklaut wird? "Ja hast du schonmal einen geklauten Kaugummiautomaten gesehen?" Und was ist mit Spritkosten, und muss man da nicht Steuern zahlen oder so? Aber all die Details nerven Jochen, er will nur zum Punkt kommen: 

"Egal, auf jeden Fall brauchen wir noch einen Investoren. Für die Automaten erstmal. Da haben wir natürlich an dich gedacht." Natürlich, liegt ja auf der Hand. "Wir brauchen nur noch 1250 €".

Und als er die Zahl nennt, werde ich erst traurig, dann wütend, dann wird mir klar: wenn ich irgendwie rauskommen will aus all der Scheiße, aus der Armut, weg von den Scheißjobs, von den Kippen und der Sinnlosigkeit, von der Wehmut die ich jeden Abend verspüre, wenn ich wieder den ganzen Tag verzockt habe, muss ich weg von ihr. Zusammen kommen wir da nicht raus, alleine habe ich vielleicht eine Chance. 


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