Irgendwann holze ich den Scheißbaum ab, schwört sich Günni, als er an der Eiche im schönsten Herbstkleid vorbeifährt, und nur seine allgemeine Trägheit schützt sie vor einem gänzlich sinnlosen Akt der Zerstörung.
Günni kommt nach Hause, nimmt einen Stapel Werbung aus seinem Briefkasten, steckt ihn in den Briefkasten einer jungen Mutter. Irgendwann, so seine Hoffnung, wird sie ihn mal darauf ansprechen. Das wäre dann seine Chance sie einzuladen, auf ein selbstgekochtes Essen, in seiner Wohnung mit den schicken Möbeln und den Fotos von Günni auf seiner Harley, und der Gibson SG, die er seit Jahren nicht spielte aber wöchentlich abstaubte.
“Der Günnikologe”, so hatte ihn Achim genannt. Den Ruf als Frauenheld hatte er sich hart erkämpft. Von den Jungs war er am längsten unverheiratet, und während der Rest des Motorradklubs langsam Kinder bekam, gefiel sich Günni in seiner Rolle als der legendäre, unzähmbare Single. Und wie so viele Legenden beruhte die des Günnikologen auf Übertreibungen, Erfindungen, und stetigem Wiederholen. Selbst bei seiner Hochzeit. Da haute der Achim eine Anekdote nach der anderen heraus, vor einer sichtlich beschämten Braut, die nur beten konnte, dass der peinliche Spitzname nicht fallen würde.
Doch so gefiel sich Günni: der Mann der jede habe konnte, aber nur seine Frau will. Der Rebell den nur die Liebe einer guten Frau zähmen kann, der Hank Chinaski des Tiefbauamtes in Kleinmichelsdorf.
Aber jetzt war er fünfzig, die Ehe war vorbei, er musste in eine kleine Dachgeschosswohnung ziehen, und seine letzte Eroberung war nur noch eine graue Erinnerung. Schlimmer noch, jetzt war selbst der Achim weg, und mit ihm würde auch langsam die Legende des Günnikologen verblassen.
Wenigstens beruflich lief es jetzt gut. Gerade war er in der Laufbahn aufgestiegen, war nun Stadtoberinspektor. “Stadtoberinspektor", das Wort gefiel ihm.
Für den Aufstieg hatte er lange gekämpft, einen langen Lehrgang neben der Arbeit gemacht, und jeden Tag gelernt. In dem guten Hemd hatte er sich in die Bibliothek der FH gesetzt, seine Bücher zu Verwaltungsrecht gewälzt, sich täglich erhofft, dass eine der dort lernenden Studentinnen ihn ansprechen würde. Vielleicht würden sie ihn für einen Professor halten.
Was er denn lerne, würde sie frage, und “ach, nur was für die Arbeit” würde er antworten, und du? Die Studentin würde sehen, dass er Geld verdient, dass er ambitioniert ist, und an ihr interessiert, und dann, wenn er Glück hätte, könnte er den Bikerjungs von seinen neuesten Abenteuer erzählen. Zu der Vorstellung mastubierte er häufig, und meist kam er, lange bevor es in seinem Kopf zum Sex kam. Es ging ihm, wie immer, mehr um die Eroberung.
“Stadtoberinspektor”, betete er sich immer wieder vor. Das hat doch was. Das klingt wichtig, nach Verantwortung. Nach Autorität. Nach Geld. Nach Stabilität. Immerhin war er Beamter. Was er der jungen Mutter alles bieten könnte. Oder den Studentinnen. Oder der blonden Bedienung in der Kneipe an der B9. Oder der…
Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen. Die Idee ist genial. Plötzlich weiß er, wie er seine Legende noch retten und für immer zementieren kann.
Es ist jetzt sechs und draußen schon dunkel, und Günni träumt unter der Dusche.
Wie läufts, wird sie ihn fragen, und er, der Stadtoberinspektor, würde sie mit seinem neuen Titel beeindrucken, und dann würden sie ein Paar, und vor seinen Augen sieht er schon die kopfschüttelnden, aber ihn doch bewundernden Bikerkollegen. “Ein alter Hund kann einfach nicht aus seiner Haut” werden sie sagen, bei der Hochzeit zwischen ihm, den Günnikologen, und Achims Witwe.
Freitag, 8. August 2025
Der Günnikologe
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oh nein, was für eine Wendung!
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