Samstag, 7. Januar 2023

Domi, WoW, und andere gute Dinge, die schlecht für mich sind

Wir kannten uns schon vom Jobcenter. Einmal hatten wir uns auf dem Flur der Arge getroffen und uns unterhalten, einmal waren wir zusammen in einer Maßnahme. Das dritte Treffen war bei Edeka. Ich war einkaufen, sie räumte als 1-Euro-Jobberin Regale ein.

„Wollen wir mal was zusammen machen?“ frage ich. Vier Wochen später zieht sie bei mir ein. Unsere Wohnung ist winzig. Eigentlich könnten wir vom Amt eine größere bekommen, aber wir fühlen uns wohl. Eine Souterrain-Wohnung mit kleiner Terrasse, einem Wohnraum, einer ranzigen Küche und einem Duschbad. Die Enge der Wohnung bringt uns Nähe.

Plötzlich gefällt mir mein Leben, trotz Mangel an Fortschritt. In der Anfangszeit verlassen wir das Bett kaum. Manchmal rauchen wir nach dem Sex auf der Terrasse, weil wir das so aus Filmen kennen. Dabei reden wir dann über die Dinge, die wir so machen werden. Ich wäre gerne Lagerist, Domi möchte Kauffrau werden. Dann ziehen wir aufs Land, arbeiten bei einem großen Edeka und kaufen einen Hund.

Die 700 € oder so, die wir als Bedarfsgemeinschaft haben, reichen uns locker und bei unserem wöchentlichen Lebensmitteleinkauf, für den wir uns alle Zeit der Welt nehmen, kommen wir uns wie Könige vor. Irgendwann kaufen wir uns eine gebrauchte Waschmaschine und schieben sie auf einem Rollbrett durch halb Köln. Ich merke, wie wir angestarrt werden und ich merke, wie egal es mir ist. Wir sind jung und verliebt, scheiß drauf was die Leute denken. Als abends die Waschmaschine, die gefühlt die Hälfte unseres kleinen Duschbades einnimmt, ihre ersten Runden dreht, sitzen wir mit meinem besten Freund, einem Klempner, in unserem Wohnzimmer und trinken Bier. Noch heute kann ich mich daran erinnern, wie dankbar und optimistisch und verliebt und unbeschwert ich war.

Zwei Jahre später. Langsam aber sicher nimmt unsere Bequemlichkeit überhand. Wir werden fetter, Domi raucht mehr und mehr, lässt ihre Hygiene schleifen. Ich spiele WoW wie einen Vollzeitjob, kann an nichts anderes mehr denken und über nichts anderes mehr reden.

Ich höre auf zu lesen, werde ungeduldiger. Höre auf, Rad zu fahren. Unsere Gespräche werden stumpfer.

Bewerbungen werden seltener.

Sex wird seltener.

Gemeinsame Einkäufe werden seltener.

Während ich zocke, schaut sie fern. Sieben, acht, zehn Stunden am Tag. Irgendwann hört sie auf, zum Rauchen rauszugehen. Unser Wohn- und Schlafraum stinkt wie eine Kneipe.

Die Nähe fühlt sich beengend an.

 

Sie bricht drei Ausbildungen ab, ich bekomme nicht einmal eine Stelle. Unsere Misserfolge nehmen wir uns gegenseitig übel. Irgendwie ist jeder von uns überzeugt, dass der andere der größere Versager ist.

 

Ich hätte sicher nie eine Lehre abgebrochen, werfe ich ihr vor.

Wenigstens habe ich schon eine Lehre angefangen, wirft sie mir vor.

 

Über unsere Träume reden wir gar nicht mehr. Ständig pumpen ihre Eltern mich um Geld an. Wollen mir tolle „Investments“ verkaufen. „Du hast doch Geld!“ sagen sie und spielen damit auf ein paarhundert Euro auf meinem Sparbuch an. Je später im Monat, desto toller ist das „Investment“. Irgendwann gebe ich mein Geld für eine Gitarre aus und höre nie wieder von ihnen. 

 

Langsam aber sicher wird WoW immer schlechter. Meine Lieblingswelt verändert sich dramatisch, jede Nostalgie geht verloren. Meine virtuellen Freunde verschwinden, finden neue Hobbys, gründen Familien oder starten Karrieren. Mir wird die Zeitverschwendung immer schmerzhafter bewusst. Nicht meine Sucht bessert sich, meine Lieblingsdroge existiert schlicht nicht mehr.

 

Einen Monat bevor ich Domi verlasse und meinen ersten richtigen Job finde, logge auch ich mich zum letzten Mal aus.

Fortsetzung

3 Kommentare:

  1. Wenn ich das so lese, hab "Willst du mit mir Drogen nehmen" von Aligatoah im Kopf. Wieder ein Top-Post!

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  2. Diese Euphorie, mit der man alte Möbel durch die halbe Stadt buckelt für die erste gemeinsame Wohnung... leider kommt mir auch der weitere Verlauf bekannt vor.

    Gut, wenn man im Nachhinein darauf zurückblicken kann und es besser geworden ist seitdem.

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    1. Jepp, sehe ich auch so. Als Classic rauskam, war ich noch mal sehr versucht, aber hatte keine Lust mehr auf das Elend. :)

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