Samstag, 25. Oktober 2025

Dritter Teil, in dem Erika, der Witwe, ein Unglück widerfährt

Kleinstadtquartett:  

Erster Teil: Achim

Zweiter Teil: Der Günnikologe

Dritter Teil, in dem Erika, der Witwe, ein Unglück widerfährt

Vierter Teil: die junge Mutter 

 

Dritter Teil, in dem Erika, der Witwe, ein Unglück widerfährt

Zweimal hatte sie den Pizzaboten nun schon gefickt und sich gegen ein drittes Mal entschieden. 

Das erste Treffen war minutiös geplant: sie wollte ihn direkt um 18:00 Uhr zu Schichtbeginn abfangen, denn dann sollte er noch Energie haben, und gleichzeitig, immerhin war es Dezember, war es schon dunkel genug um ihren Körper in ein schmeichelhafteres Licht zu hüllen. 

Nach einer holprigen ersten Nacht war die zweite etwas besser, beinahe hätte sie sogar einen Orgasmus gehabt. Auch hatte es ihr eine gewisse Genugtuung gegeben, dass Achim jede freie Minute mit dem Gedanken an junge Frauen verbracht und doch nie Erfolg hatte, es ihr jedoch, ein Schuss, ein Treffer, beim ersten Versuch gelang. 

Doch dann holte der Pizzabote am Ende sein Handy raus, um ein halbnacktes Selfie von den beiden zu schießen, für seine Jungs sagte er, und plötzlich fühlte sie sich benutzt und entfremdet von seiner ganzen Generation. Als er dann laut wurde, weil er seinen Willen nicht bekam, beendete sie die Affäre und beklagte später nur den Verlust der einzig essbaren Quattro Stagioni der Kleinstadt. 

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Nun ist Januar, Achim schon vor Monaten zu Grabe getragen, und draußen schneit es. Die Witwe geht in die Garage, und nur hier hat sie sowas wie Sehnsucht nach ihrem Mann. Denn dort steht das Auto, der Satz Winterreifen noch in der Ecke, daneben ein zerbeultes Motorrad das sie allein kaum zu verkaufen vermag, und ein riesiger Mercedes SUV dessen Raten sie allein nicht mehr stemmen kann.

Da war doch der Günni, fällt ihr ein mit etwas Ekel, vielleicht kann ich dem das Motorrad andrehen. Das hat doch für den einen sentimentalen Wert… Aber der komische Typ wohnt ja noch in seiner Mietwohnung… Dennoch schreibt sie ihm bevor sie los zur Arbeit fährt.

Es ist auf halber Strecke zur Arbeit, dass ihr das Unglück widerfährt. Es ist nicht klar, ob es an der Nachricht von Günni liegt, die sie während der Fahrt lesen muss. 
Oder an dem eingeschränkten Sichtfeld, das sie durch das viel zu große Auto hat. 
Oder an den Reifen, die der schneevermatschen Straße nicht ganz gewachsen sind. 

Ein Aufprall und ein Schrei lassen Erika aufhorchen. Wäre da nicht die Motorhaube im Wege, könnte sie die junge Mutter sehen. Ihr gebrochenes Bein, den Buben der neben ihr sitzt und weint, die Platzwunde am Kopf, die Einkäufe verteilt über den Zebrastreifen. 

Erika steigt aus, schreit die junge Mutter an, ob sie denn keine Augen im Kopf habe. Dann sieht sie, dass die junge Mutter wohl ein Rad geschoben hatte, herrjemine, das liegt da auch noch, die ganze Front des Mercedes ist zerkratzt, und sogar der Stern. Gott bewahre, nicht der Stern.

Es schneit unentwegt, während zwei Sanitäter sich um die junge Mutter kümmern und Erika auf die Wachtmeisterin wartet, und Erika merkt, wie ihr die Tränen kommen. Was die Versicherung wohl jetzt extra kosten wird, und extra einen Termin in der Werkstatt müsse sie machen, und wohlmöglich ein paar Punkte in Flensburg, nur weil das blöde Teeniegör nicht aufpassen konnte. 

So ein Unglück, denkt sie, könne auch nur ihr widerfahren.  

Dienstag, 21. Oktober 2025

Mein zweites Buch! Mal was komplett anderes...

Hi allerseits,

vorweg, für die die jetzt enttäuscht sind: die "Bildungsfern"-Fortsetzung kommt irgendwann, aber aktuell erlebe ich nicht genug um schnell Stoff zu sammeln und es soll ja authentisch bleiben.

Aber bevor das Internet unter AI-Slop zusammebricht, bin ich SEHR heiß darauf, euch mein neues Buch, rein von Menschenhand geschrieben, vorzustellen:

Krabat: Aus dem Volksmund 

(Release zu Weihnachten als E-Book und Taschenbuch, und wie immer gratis als PDF für diejenigen denen es zu teuer ist. Ich weiß, ein echter Nachfolger würd sich besser verkaufen, aber das muss jetzt sein!)

Für die armen Seelen unter euch die das 1971er Meisterwerk von Ottfried Preußler noch nicht kennen: Krabat ist eine sorbische Sage die seit 1839 überliefert wird. Sie handelt vom jungen Krabat, der Anstellung in einer düsteren Mühle sucht, deren Meister die Gesellen neben dem Müllern die dunklen Künste lehrt.  

Wie der Rattenfänger von Hameln, wie Till Eulenspiegel, wie der Zauberlehrling, wie Faust, so ist auch Krabat eine Sagenfigur zu der es zahlreiche Adaptionen gibt. Das hier ist meine. 

Gestatten, Krabat

Ps.: der Stütze-Name passt für das Buch nicht so, glaube ich werde ihn erst "wiederbeleben" wenn das zweite Bildungsfern-Buch erscheint.  


Montag, 20. Oktober 2025

Das Milch-Unboxing

Gut Leude, 

heute habe ich euch zwei Milchen mitgebracht bei denen ich so ein bisschen (Kamera zoomt auf Zeigefinger und Daumen, die beinahe aufeinander liegen) vergleichen will, ob ihr die Basis-Version (zeigt auf die Ja! frische Vollmilch) - kaufen sollt, und für wen sich vielleicht sogar die Pro-Version lohnt - zeigt auf Wiesenkevin Frische Vollmilch. 

(Es folgt ein Schnitt, dann macht der Youtuber erstmal Werbung für einen VPN-Service, den er sicher auch selbst nutzt.) 

Gut, viele von euch wollen ja die Unboxing-Erfahrung so ein wenig nachvollziehen, fangen wir damit mal an. 

Super clever, beide Milchen kommen in dieser flüssigen Form, man kann sie also einfach (zeigt Videoausschnitt wo er tollpatschig versucht die Milch in ein Glas zu schütten, aber sie überschwappt) aus der Verpackung in ein anderes Gefäß umfüllen.

Also von den Specs her ist der Case erstmal sehr ähnlich: hier die Lasche, da kann man auch das MHD (er spricht es /ɛm-heɪtʃ-diː/ aus) sehen. Ah ja, hier sieht man schon, da tun sich beide Milchen nicht viel. Der Ja! Liter hat hier sogar ein bisschen mehr Power, noch zwei Tage länger haltbar. 

Aber was der Wiesenkevin besser macht (er streichelt die Verpackung) ja also das sieht man auf der Kamera nicht so, aber: einfach GEIL. Dafür ist Wiesenkevin ja einfach bekannt in der Milk Community, einfach dieses matte, elegant eingebrannte Bild. Da sieht man sogar noch die Kuh drauf. Also sorry Ja!, da dunkt der Wiesenkevin schon geisteskrank auf euch (Drucklufthorn im Hintergrund). 

Wenn man das jetzt mal ausschüttet (er schnippt mit den Fingern, Kamera-Schnitt, beide Gläser sind voll). Wir machen jetzt mal den blinden Test, Jan (ausgesprochen ʤæn) the Camera Man, komm mal her, verbinde mir jetzt mal Augen (ein Bild von einem skeptisch dreinblickenden Dackel wird für eine Sekunde eingeblendet), ruhig ein bisschen strammer, du weißt ja ich mags etwas fester (Zweisekündiger Clip von einem Basketballspieler der “Wait, hol’ up” sagt).

Gut und jetzt die Engagement Challenge: dropt mal ein paar Comments ob ich das am Geschmack erkennen kann. (Er nimmt den ersten Schluck, gurgelt, schluckt). Ja geil, also richtig voll von der Textur her, aber bevor ich rate, erstmal die andere Milch. 

(Er erwägt kurz) - ah ja, also vorweg kann Ich schonmal sagen: beide Milchen erfüllen ihren Zweck und vom Preis her hätte ich nicht erwartet, dass die SO nah beinander liegen. Aber der Wiesenkevin (zeigt auf das zweite Glas), holt mich von seiner Vollmundigkeit ein bisschen mehr ab. (Auf dem Off kommt eine Stimme, Jan the Camera Man: “das ist actually die Ja!-Milch).

NO WAY, schreit der Youtuber, macht einen O-Mund für das Thumbnail, also alter, das ist ja ein perverses Armutszeugnis für den Wiesenkevin, absolutes Kino. Ja also da seht ihr mal, es kommt nicht immer auf den Preis an und es ist ja auch echt ein kleines offenes Geheimnis in der Molkmunity, der Wiesenkevin liefert einfach nicht mehr so abartig wie früher. Und wenn ihr jetzt vielleicht neugierig seid, wieso die Wiesenkevin 2014-2018 Version als so ikonisch gilt, dann klickt doch hier auf den Link. Sonst lasst gern ein Like da und subscribed für mehr Molk & Talk (er spricht es tolk aus). 

Sonntag, 12. Oktober 2025

Das Wohnheim

Der Hausmeister schließt die Tür auf. Licht an, an den Wänden und der Decke flüchten Scharen von Silberfischen in Ritzen und Lücken. Die Deckenlampe ist eine oben offene Schüssel, eine Falle für ein halbes Pfund toter Fliegen und Silberfische.

Ein gelbverrauchter dicker Vorhang verdeckt das einzige kleine Fenster. Im Raum, noch ein Schrank, ein Tisch und ein Bettgestell. Die Wände gefühlt aus Pappmaschee, man hört alles. Auf der Matratze muss horrendes passiert sein. “Die tauschen wir noch aus”, sagt der Hausmeister. “Perfekt, das Zimmer nehme ich”, sage ich mit Beklemmung aus der Not heraus.

Die Nasszelle - ein fensterloses Duschbad mit Wänden vollständig aus Plastik - teilen wir uns zu viert, die Lüftung ist kaputt und meine Mitbewohnerinnen lassen beim Scheißen und Duschen die Tür auf. Die Spülung ist gleichzeitig unterdimensioniert und lächerlich laut. 

In der Küche hat jeder ein Fach im Kühlschrank, die Spüle versteckt sich unter einem Haufen Geschirr, die Hälfte sauber, in Anführungsstrichen, die andere dreckig. Wenigstens hier gibt es zwei Fenster. Aus einem schau ich raus, auf das Uniklinikum. An dessen Wand fällt mir ein Schornstein ungefähr im zehnten Stock auf, über dem ein riesiger Rußfleck ragt. Wie soll man das denn reinigen, frage ich mich. 

Muss man da ein Gerüst bauen, oder lassen die einen Streicher mit Hängebühne runter? Was man da wohl verdient, so als Streicher? Ich hätte ja erstmal Panik, so hoch über den Boden. Aber vielleicht gewöhnt man sich daran? Der Rußfleck nimmt für ein paar Minuten meine Gedanken ein. 

Alles, um nicht an den halben Staubsaugerbeutel voll Silberfischen zu denken. 


Freitag, 8. August 2025

Der Günnikologe

Link zu Teil 1, "Achim"

Irgendwann holze ich den Scheißbaum ab, schwört sich Günni, als er an der Eiche im schönsten Herbstkleid vorbeifährt, und nur seine allgemeine Trägheit schützt sie vor einem gänzlich sinnlosen Akt der Zerstörung. 

Günni kommt nach Hause, nimmt einen Stapel Werbung aus seinem Briefkasten, steckt ihn in den Briefkasten einer jungen Mutter. Irgendwann, so seine Hoffnung, wird sie ihn mal darauf ansprechen. Das wäre dann seine Chance sie einzuladen, auf ein selbstgekochtes Essen, in seiner Wohnung mit den schicken Möbeln und den Fotos von Günni auf seiner Harley, und der Gibson SG, die er seit Jahren nicht spielte aber wöchentlich abstaubte. 

“Der Günnikologe”, so hatte ihn Achim genannt. Den Ruf als Frauenheld hatte er sich hart erkämpft. Von den Jungs war er am längsten unverheiratet, und während der Rest des Motorradklubs langsam Kinder bekam, gefiel sich Günni in seiner Rolle als der legendäre, unzähmbare Single. Und wie so viele Legenden beruhte die des Günnikologen auf Übertreibungen, Erfindungen, und stetigem Wiederholen. Selbst bei seiner Hochzeit. Da haute der Achim eine Anekdote nach der anderen heraus, vor einer sichtlich beschämten Braut, die nur beten konnte, dass der peinliche Spitzname nicht fallen würde.  

Doch so gefiel sich Günni: der Mann der jede habe konnte, aber nur seine Frau will. Der Rebell den nur die Liebe einer guten Frau zähmen kann, der Hank Chinaski des Tiefbauamtes in Kleinmichelsdorf. 

Aber jetzt war er fünfzig, die Ehe war vorbei, er musste in eine kleine Dachgeschosswohnung ziehen, und seine letzte Eroberung war nur noch eine graue Erinnerung. Schlimmer noch, jetzt war selbst der Achim weg, und mit ihm würde auch langsam die Legende des Günnikologen verblassen. 

Wenigstens beruflich lief es jetzt gut. Gerade war er in der Laufbahn aufgestiegen, war nun Stadtoberinspektor. “Stadtoberinspektor", das Wort gefiel ihm. 

Für den Aufstieg hatte er lange gekämpft, einen langen Lehrgang neben der Arbeit gemacht, und jeden Tag gelernt. In dem guten Hemd hatte er sich in die Bibliothek der FH gesetzt, seine Bücher zu Verwaltungsrecht gewälzt, sich täglich erhofft, dass eine der dort lernenden Studentinnen ihn ansprechen würde. Vielleicht würden sie ihn für einen Professor halten. 

Was er denn lerne, würde sie frage, und “ach, nur was für die Arbeit” würde er antworten, und du? Die Studentin würde sehen, dass er Geld verdient, dass er ambitioniert ist, und an ihr interessiert, und dann, wenn er Glück hätte, könnte er den Bikerjungs von seinen neuesten Abenteuer erzählen. Zu der Vorstellung mastubierte er häufig, und meist kam er, lange bevor es in seinem Kopf zum Sex kam. Es ging ihm, wie immer, mehr um die Eroberung.

“Stadtoberinspektor”, betete er sich immer wieder vor. Das hat doch was. Das klingt wichtig, nach Verantwortung. Nach Autorität. Nach Geld. Nach Stabilität. Immerhin war er Beamter. Was er der jungen Mutter alles bieten könnte. Oder den Studentinnen. Oder der blonden Bedienung in der Kneipe an der B9. Oder der… 

Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen. Die Idee ist genial. Plötzlich weiß er, wie er seine Legende noch retten und für immer zementieren kann.

Es ist jetzt sechs und draußen schon dunkel, und Günni träumt unter der Dusche. 

Wie läufts, wird sie ihn fragen, und er, der Stadtoberinspektor, würde sie mit seinem neuen Titel beeindrucken, und dann würden sie ein Paar, und vor seinen Augen sieht er schon die kopfschüttelnden, aber ihn doch bewundernden Bikerkollegen. “Ein alter Hund kann einfach nicht aus seiner Haut” werden sie sagen, bei der Hochzeit zwischen ihm, den Günnikologen, und  Achims Witwe.